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Zum Feierabend

Gott eine solche Kirche schuldig geblieben

Die Sankt-Stephans-Basilika in Budapest
Gott eine solche Kirche schuldig geblieben
Emmerich Kretz
Noch bis weit ins 19. Jahrhundert zählten in fast allen europäischen Städten Gotteshäuser zu den schönsten Gebäuden. Jede Weltstadt hatte ihre berühmte mittelalterliche Kirche: Rom die Peterskirche, Paris die Kathedrale Notre Dame, London die St. Pauls Kathedrale, Wien den Stephansdom. Nur Buda, seit 1872 Budapest – nach der Vereinigung von Buda, Pest und Óbuda – war, wie es hieß »Gott eine solche Kirche schuldig geblieben«. In Buda (Ofen) gab es zwar die schön künstlerisch und reiche, auch unter dem Namen Liebfrauenkirche bekannte Matthiaskirche. Dieses während der Türkenzeit in eine Moschee umgewandelte und nach der Befreiung im Barockstil renovierte Gotteshaus wies im frühen 19. Jahrhundert starke Beschädigungen auf. Den Verantwortlichen erschien es als Zierde der Stadt geeignet, jedoch auch nach einer erneuten Renovation nicht als Zentralkirche für die Hauptstadt Buda oder für die ebenfalls königliche Freistadt Pest.

Pest entwickelte sich allmählich wieder zu Ungarns Wirtschaftszentrum, wo Handel und Gewerbe einen Aufschwung nahmen. Angeleitet von einer Kommission arbeiteten dort neben zahlreichen Architekten auch bekannte Baumeister wie János Krausz und Mihàly Pollak an Gemeinschaftsbauten wie Hotels, Kirchen, Theatern oder vornehmen Mietshäusern mit Fassaden. Die Bauten bekamen einen eigenen ungarischen Charakter, an dessen Architektur sich nationale Reformbestrebungen ausdrückten. Zu dieser Zeit war die später an Palästen und Villen reiche nach Kaiser Leopold II. benannte Leopoldstadt (Lipótsvarós) noch ein ungeordnetes Quartier von Pest. Eine kluge Wirtschaftspolitik der Bürgerschaft, verbunden mit bedeutenden Steuererleichterungen und der Förderung wichtiger Baulichkeiten, etwa von Mühlen und Fabriken, führten zu einer schnellen Entwicklung dieses auf feuchtem Gelände gelegenen Stadtteils. Eine wachsende Bevölkerung fand jetzt innerhalb der Stadtmauern keinen Platz mehr und zog in die Vorstädte, auch in die sich ständig ausdehnende Leopoldstadt. Auf Verlangen von Bewohnern dieses aufstrebenden Viertels, die ein eigenes Gotteshaus vermissten, befasste sich der Magistrat im Jahr 1815 erstmals mit dem Bau einer »großangelegten Kirche« auf dem Platz des einstigen Hetz-Theaters. Dort waren vor einer enthemmten Menge noch wenige Jahre zuvor blutige Tierhetzen und Stierkämpfe ausgetragen worden. An solch unsäglichen Spektakeln hatten sich bereits im Amphitheater des antiken Aquincum Anwohner wie auch hier stationierte Legionäre ergötzt.

Wegen fehlender Gelder der Öffentlichen Hand sowie der Armut im Allgemeinen in der Zeit nach den napoleonischen Kriegen betraute man zunächst den Wiener Meister Johann Zittelbach mit den Bau eines kleineren Gotteshauses. Gleichzeitig bat der Magistrat um Unterstützung für einen großen, angemessenen Kirchenbau. Zittelbach ging rasch ans Werk und schon 1817 konnte das Kirchlein, das allerdings 1849 niederbrannte, geweiht werden. Einen weiteren Bauplan, der nicht mehr zur Anwendung kam, entwarf der begabte Zeichner Josef Schwarz im Jahr 1822. Offensichtlich auch wegen noch immer eingehender Spenden hielt der ehrgeizige Magistrat weiterhin an seinen Planungen für einen großen Kirchenbau fest. Die Stadtgewaltigen ließen sich auch von der für die Leopoldstadt verheerenden Hochwasserkatastrophe des Jahres 1838 nicht beirren. Jahre später fertigte der vielbeschäftigte Josef Hild einen zweiten Entwurf. Klassizistische Schöpfungen dieses Baumeisters wie das Pester Rathaus, die Herminenkapelle und Kirchenbauten bestimmten in der Reformzeit ab 1825 das Pester Stadtbild. Hierzu gehörten auch die Arbeiten des Wiener Architekten Michael Pollack und Ausführungen des meistbeschäftigten Meisters des klassizistischen Zeitalters, Matthias Zitterbach. Verbunden mit nationalen Reformbestrebungen galt dieser Baustil schon bald nach Beginn des Jahrhunderts als hervorragendste Leistung ungarischer Kunst. In den vierziger Jahren kam auch Kritik von hoher Stelle auf: Lajos Kossuth, der die ungarische Unabhängigkeitsbewegung führte, beanstandete den fremden Stil Josef Hilds. István Széchenyi, Kossuths politischer Widersacher, schrieb, »das in Entwicklung begriffene Pest habe keinerlei Eigenständigkeit. Die Stadt sei halb in russischer Atmosphäre und halb nach italienischem Vorbild gebaut«. Noch immer tief beeindruckt von einem Italienaufenthalt in seinen frühen Jahren plante Josef Hild für die Hauptfassade der Kirche eine abgeschlossene, von korinthischen Säulen getragene Säulenhalle. Schon der Vater von Josef Hild, der angesehene Architekt Johann Hild, hatte als Leiter der »Pesther Verschönerungscomission« den Ausbau der Leopoldstadt stark beeinflusst. Für die Seitenfassaden des Gotteshauses sah Sohn Josef eine Gliederung durch je vier mächtige Pfeiler vor. Doch verzögerten die Revolution von 1848/49 und der Freiheitskrieg die Grundsteinlegung und stellten das gesamte Projekt in Frage.

Während der Kämpfe im Mai 1849 beschossen kaiserliche Kanoniere von der Burg aus die klassizistische Häuserzeile am Donauufer in Pest und auch die Redoute. Bei dieser Kanonade brannten zahlreiche mehrstöckige Gebäude völlig aus oder wurden zertrümmert. Während der nun folgenden Besetzung von Buda und Pest durch österreichisch-russische Truppen richtete der berüchtigte General Haynau eine provisorische Verwaltung ein. Doch konnten weder Unterdrückung noch wirtschaftliche Maßnahmen den Widerstand des Volkes brechen. Ungarn hatte zwar den Krieg verloren, den Frieden aber auf lange Sicht gewonnen. Ein neuer Kunststil fand nun Verbreitung: Die ersten Gebäude im Zeichen der Romantik entstanden und verdarben später die klassizistische Einheit der Leopoldstadt. Am 4. Oktober 1851 erfolgte, worauf viele gewartet hatten, die Grundsteinlegung der Basilika in der Leopoldstadt. Unter der Leitung Josef Hilds begannen bei der abgebrannten Kirche beim einstigen Hetz-Theater die Arbeiten, die jedoch unter keinem guten Stern standen: Aufgrund fehlender Gelder und einem schweren Unglück zog sich die Bauausführung über ein halbes Jahrhundert dahin.
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