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Zum Feierabend

Erster Spaziergang in Wasseralfingen

Eine Geschichte aus der Anfangszeit in Deutschland
Entlang der Werksanlagen spazierten wir in Richtung Ortszentrum. Am Ende des Betriebsareals waren gerade Rangierarbeiten im Gange, und eine kleine Dampflok fauchte vor sich hin. Sie zog eine ganze Reihe von beladenen Waggons in das Werk, dessen Name SHW in großen Buchstaben am Ende der Fabrik angebracht war.

Großvater ließ sich das Kürzel von einem ortskundigen Passanten erklären. Er wusste jetzt offensichtlich Bescheid und zog Parallelen mit der WMF in Csepel.

Bald gelangten wir auf den Kirchplatz und betraten durch das Hauptportal die Kirche. Sie war sehr kahl (Neoromanik), aber von fast monumentaler Größe. Großvater fand heraus, dass sie dem hl. Stefan (also dem Erzmärtyrer Stephanus) geweiht war.

Dies gefiel ihm irgendwie, hieß doch sein Sohn, mein Onkel, auch Stefan, und dieser Vorname hatte in unserer Heimat Ungarn schon einen recht hohen Stellenwert. Nahm doch bei der Christianisierung der heidnischen Ungarn der Sohn ihres obersten Stammesführers diesen christlichen Namen an und wurde der erste König der Ungarn.

Mir gefiel die Kirche eigentlich nicht, hatte ich mich doch an unsere schöne barocke Kirche in Soroksár erinnert, mit der ich durch gelegentliche Besuche mit meiner Großmutter vertraut war. Mir fehlte hier einfach die bunte, barocke Bilderwelt, die mich in Soroksár immer so fasziniert hatte.

Als wir das Kircheninnere verließen, fiel mir auf, dass sich viele Menschen im Ortszentrum aufhielten. In den wenigen Geschäften waren die Schaufenster ziemlich leer. Trotzdem gingen die Leute hektisch ein und aus, als seien sie auf der Jagd, um irgendwelche Waren zu ergattern.

Großvater hatte weder Geld, noch Lebensmittelkarten; konnte mir also nichts Süßes kaufen, was mich doch ganz schön enttäuschte. Zu Hause in Soroksár hatte mir Opa oder Oma immer etwas gekauft, wenn wir in unserer Geschäftsstraße waren. Regelmäßig hatte mir meine Großmutter Schokolade oder Leckereien auch aus Budapest mitgebracht. Durch ihr Kühleisgeschäft kam sie fast jeden Tag in die ungarische Hauptstadt, denn hier hatte sie in der Franzstadt (Ferencváros) ihre Kundschaft, die regelmäßig mit Kühleis beliefert werden musste. Zum ersten Mal wurde ich hier in Wasseralfingen mit dieser Situation in Deutschland bekannt, die man als Mangelverwaltung kennt.

Inzwischen läuteten die Glocken der Stefanskirche zu Mittag und Großvater entschied, dass wir uns wieder auf den Weg ins Lager begeben sollten.

Meine Mutter und meine Großmutter hatten inzwischen mit den anderen Frauen unserer Großsippe Wäsche gewaschen, und diese hing jetzt vor dem Eingang unserer Baracke. Auch in unseren »Räumen« hing überall Wäsche. Dies empfand ich als sehr unangenehm und war froh, als Großvater sagte, dass wir beide in Richtung Gemein schaftsküche gehen wollten, um unser Essen zu fassen. Die Frauen wollten erst abwarten bis die Männer aus Aalen zurück waren. Erst dann sollte gegessen werden.
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