archivierte Ausgabe 1-3/2022 |
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Die zerknitterte Antike |
Ausstellung »Menyhért Szabó – Anomalie« im ungarischen Kulturzentrum Liszt-Institut in Stuttgart |
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Ausstellung im Liszt-Institut in Stuttgart
Fotos: kjl |
Dem Apostel Bartholomäus soll angeblich die Haut abgezogen worden sein. Auf Darstellungen zeigt der Heilige deshalb oft seine Haut. Auch in der griechischen Mythologie findet man das Thema der abgezogenen Haut. Der Gott Apollon strafte so den Satyr Marsyas, der es gewagt hatte, ihn zu einem musikalischen Wettstreit herauszufordern. An diese Mythen erinnert eine Skulptur des ungarischen Künstlers Menyhért Szabó. Die Haut eines Kopfes ist über einen Baumstumpf gehängt. Schlaff hängt die Haut herunter, verformt ohne den Stabilität bietenden Schädelknochen. Gerade noch erkenntlich ist die Partie um Kinn, Mund und Nase.
Das Spiel mit der Instabilität der äußersten Schicht des menschlichen Körpers ist das Thema des 1992 geborenen ungarischen Künstlers Menyhért Szabó. Natürlich verwendet er nicht echte Haut. Es sind unterschiedliche Kunststoffmassen, mit denen er experimentiert. Die Masse kann aus Gummi und weich sein. Dann hat sie keine Stabilität, wie jenes Gesicht, das über einen Stuhl gehängt ist. Man könnte sich darauf setzen und das schlaffe Gesicht weiter deformieren.
Die Idee des gehäuteten Gesichts steckt hinter den ungewöhnlichen Figuren Szabós. Allerdings geht er einen komplizierten Schaffensweg, um diesen Effekt zu erzielen. Er formt seine Figuren zuerst aus Ton. Doch dienen diese Tonfiguren nur als Grundlage für weitere Arbeitsschritte. Das Ziel ist der Gummiabguss. Er selbst berichtet über das Vorgehen: »Die Abdrücke aus Gummi habe ich dann später an die Wand gehängt. Das Ergebnis: Verzerrung der Vollkommenheit, tiefer Absturz der klassisch-distanzierten Formauffassung. Die Gesichtszüge fallen unter dem eigenen Gewicht zusammen, alle Schönheit und Erhabenheit der idealisierten Form verschwindet.«
Manche von Szabós Figuren sehen weich aus und sind doch seif, da er sie mit Kunstharz gefestigt hat. Als riesige Masken stehen diese Gesichter im Raum. Manche scheinen mit wehendem Haar in Bewegung zu sein. Leer sind die Augen, durch die man den Hintergrund sieht. Man kann diese Masken umschreiten. Die Vorderseite ist als Gesicht glatt und detailliert gearbeitet. Die Rückseite ist roh belassen. Wir schauen in eine dunkle Höhle hinein. Auch von hinten kann man durch die Augen schauen und den Blick der Gesichter aufnehmen. Kleine Masken stellt Szabó manchmal aus glänzendem Metall her.
Es muss noch einmal der Bezug zur Antike hergestellt werden. Denn Menyhért Szabó bezieht sich deutlich darauf. Er zitiert die Gesichtszüge griechischer Statuen. Die beiden Figuren mit dem Titel »Theatrum mundi« könnten Torsi griechischer Jünglinge sein. Man sieht sogar die Spuren der Geschichte auf ihnen. Doch verfremdet Szabó die idealisierten Originalfiguren, indem er gewissermaßen nur die Haut der Figuren präsentiert. Zerknickt und seltsam ohne Halt sind sie, schlaff und jeglicher pathetischer Wirkung beraubt. Gleichzeitig klappt er die Gesichter so um, dass man sie gleichzeitig von zwei Seiten sehen kann – er überträgt ein von Picasso in seinen kubistischen Bildern angewandtes Prinzip auf die Plastik. Zudem färbt Szabó sie rosa und hellblau. Diese poppige Farbgebung verwendet er gerne – ein weiterer Schritt zur Entidealisierung der Vorlagen.
Macht sich Szabó manchmal an ein Spiel mit der Deformierung der antiken Kunst, stellt er gleichzeitig die Vergänglichkeit heraus. Er treibt die Idee eines antiken Ruinenfelds auf die Spitze.
Das Aufhängen der Gesichtsabgüsse kann man auf drei großformatigen Skizzen sehen. Kommt Szabó normalerweise durch das Aufstellen der Gummihaut als Maske zu einer neuen Form, spielt er manchmal auch mit dem Hängenlassen. Ein solches »Gesichtstuch« ist dramatisch an Drähten aufgehängt. Es deutet sich eine Assoziation aus der christlichen Ikonographie an. Das Motiv gemahnt an das Schweißtuch der Veronika, einer Szene vom Kreuzweg Christi. Durch die Falten entsteht gar die Wirkung einer Dornenkrone.
Den irritierenden Figuren Szabós widmete das Liszt-Institut (früher Ungarisches Kulturinstitut) in Stuttgart im November eine Ausstellung.
Klaus J. Loderer
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