archivierte Ausgabe 1-2/2021 |
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Heimaten in Berlin und im Banat |
Hermann-Hesse-Literaturpreis für Iris Hanika und Förderpreis für Nadine Schneider |
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Verleihung des Hermann-Hesse-Preises in Karlsruhe: Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, Nadine Schneider, Iris Hanika und Prof. Dr. Hansgeorg Schmidt-Bergmann
Foto: Klaus J. Loderer |
Es war schon eine etwas gespenstige Atmosphäre. Wenige Menschen auf Distanz gesetzt. Die Stühle weiträumig im riesigen Bürgersaal des Karlsruher Rathauses verteilt. Und dann war da noch die Gewissheit, dass eine Veranstaltung dieser Art wenige Tage später gar nicht mehr hätte stattfinden können, nicht mehr hätte stattfinden dürfen wegen der am 2. November einsetzenden Verbote jeglicher Veranstaltungen. Da war der 29. Oktober 2020 ein Termin glücklicher Fügung. So wurde die Verleihung des Hermann-Hesse-Kulturpreises zu einem der letzten Kulturereignisse des Jahres 2020 in Deutschland, bevor die Kultur von den Politikern in den zwangsweisen Winterschlaf versetzt wurde. Der von Karlsruhes Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup angekündigte »vergnügliche Literaturabend« wurde es dann doch dank der pointierten Reden und Lesungen und besonders dank Andreas Platthaus, der für seine Laudatio auf Iris Hanika sich einen hinreißenden Sprechstil angeeignet hat, um die Besonderheit der Romanzitate herauszustreichen. Diese »Lengevitch«, ein deutsch-amerikanisches Kauderwelsch, die Iris Hanik in ihren Roman »Echos Kammern« einsetzt, ergriff bei Platthaus komplett Besitz von der Laudatio und dem Vortragsstil und sorgte für Dauerschmunzeln im Publikum. Die Autorin war von diesem kunstfertigen Vortrag ihrer Sprachspielereien so begeistert, dass sie darauf verzichtete, sich nun selbst daran zu versuchen. Gerne hätte sie Platthaus den Nobelpreis für Laudatoren verliehen, beschränkte sich dann aber darauf, ihm keine Konkurrenz machen und las dann nicht aus ihrem eigenen Werk sondern erwies dem Namensgeber des Preises eine Referenz, indem sie ein literarisches Kabinettstückchen Hesses vorlas: das »Gespräch mit einem Ofen«.
Der Hermann-Hesse-Literaturpreis wurde 1957 erstmals vergeben. Die Reihe der bisher zwanzig Preisträger beginnt immerhin mit Martin Walser, der für »Ehen in Philippsburg« ausgezeichnet wurde. Hermann Hesse war nicht nur mit der Benennung des Preises einverstanden, um junge Dichter zu fördern, sondern soll auch bei Peter Weiß versucht haben auf die Vergabe Einfluss zu nehmen, wie Prof. Dr. Hansgeorg Schmidt-Bergmann, der Vorsitzende der Stiftung Hermann-Hesse-Literaturpreis, launig berichtete. Er bedankte sich bei der Stadt Karlsruhe: »Es ist eine gute Tradition, dass der jeweilige Oberbürgermeister den Preis mit verleiht.« Und er betonte, dass es sich um einen Bürgerpreis handle, gestiftet von der 1951 in Karlsruhe gegründeten Fördergemeinschaft der deutschen Kunst, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die notleidende Kunst unterstützen wollte.
Mit einem Zitat aus ihrem Roman »Drei Kilometer« (Jung und Jung Verlag Salzburg 2019) stellte Schmidt-Bergmann die Förderpreisträgerin Nadine Schneider vor. Eine in Temeswar auf dem Platz vor der Oper spielende Szene hatte er sich zur Einstimmung ausgesucht. Das Buch spielt 1989 in Rumänien und erzählt von der Entscheidungsqual des Bleibens oder Gehens vor dem Hintergrund der dramatischen politischen Ereignisse. Nadine Schneider hat die Geschichte in ein fiktives Dorf an der Grenze verlegt. Die titelgebenden drei Kilometer trennen die Hauptfiguren, Anna, Hans und Mischa von der jugoslawischen Grenze und einer eventuellen Zukunft in der Freiheit. Die Autorin hat das selbst nicht erlebt – aber die Geschichte speist sich zumindest zu gewissen Teilen aus familiären Erinnerungen. Die Familie kommt aus dem Banat, sie selbst ist in Nürnberg geboren. Sie studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Regensburg, Cremona und Berlin. 2019 ist dann der Debütroman erschienen.
Nadine Schneider setzt ihre Hauptfiguren in eine Zeit, in der sie niemandem vertrauen können, da Jeder für die Securitate spitzeln könnte. »Es sind diese Beschädigungen, die alle Personen des Romans betreffen, die drei Protagonisten und ihre Familien, die dörflichen und städtischen Bewohner, die feinsinnig beschrieben werden.« So lobt Schmidt-Bergmann. Der Roman ist eben keine Dorfgeschichte aus dem 19. Jahrhundert: »Heimat, das bezieht sich auch auf die Großmutter, die mit großer Sympathie als eine positive Figur gezeichnet wird, die sich dem Leser, der Leserin einprägt.« Der Laudator findet aber auch den Bezug zur Gegenwart wichtig: »Doch die literarische Erinnerung ist es nicht allein, auch nicht die gelungene ästhetische Form und der beeindruckende sprachliche Stil, der diesen Roman auszeichnet, sondern […] die traurige Aktualität, der wir ohnmächtig beiwohnen. Von daher ist Nadine Schneiders Buch »Drei Kilometer« im mehrfachen Sinne ein literarisches Dokument notwendiger Aufklärung.« Abschließend wertete der Vorsitzende der Stiftung: »Sie demonstrieren, dass Literatur vermag, was weder die Quellen noch die Bilder vermögen, Wirklichkeit sinnlich und unmittelbar lebendig werden zu lassen.«
Es folgte eine kurze Lesung. Nadine Schneider stellte den Beginn des Romans vor, der den Zwiespalt zwischen Gehen und Bleiben bei den drei Hauptfiguren aufzeigt. »Es sind nur drei Kilometer, warum machen wir es nicht heute Nacht?« Es ist der Vorschlag zur Flucht aus Rumänien, ausgesprochen in einer Augustnacht und dann doch nicht durchgeführt. Anna, eine der Hauptfiguren, hat einen bemerkenswert einleuchtenden Grund des Dortbleibens: »Wie sollten ausgerechnet die Hunde verstehen, wenn ich nicht mehr da war.« Eine eindrückliche Naturbeschreibung fiel mir auf: »Ein Baum fasste mit den Zweigen in den Himmel.«
Die weißrussische Künstlerin Yuliay Lonskaya leitete mit »Songe Capricorne« des französischen Gitarristen Roland Dyens zur Verleihung des Hauptpreises über.
Um die Schriftstellerinnen Sophonisbe und Roxana geht es im Roman »Echos Kammern« (Droschl-Verlag Graz 2020), für den die Schriftstellerin Iris Hanika mit dem Hermann-Hesse-Literaturpreis bedacht wurde. Diese leben wie die Autorin selbst in Berlin, wobei ein Teil des Buchs in New York handelt, wo Josh ins Spiel kommt. Ein Großstadtroman also. Liebeshändel in Metropolen können bei Iris Hanika natürlich nicht als einfache Geschichten verlaufen. Um die Sache noch mehr ins Groteske zu ziehen hat Iris Hanika einen besonderen Sprachstil aufgegriffen, die von Kurt M. Stein in den 1920er-Jahren erfundene »Lengevitch«, die den Laudator Andreas Platthaus so faszinierte, dass er kurzerhand seine Laudatio in diesem Deutsch mit englischer Grammatik formulierte und sehr pointiert vortrug. Der Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verschmolz geradezu mit dieser »Lengevitch«, wie er auch die Autorin lobte, dass sie eins sei mit ihrer Sprache. Er wies auf die besonderen Wortspiele hin und auf die ungewöhnlichen Namen der Protagonisten. Wie die Autorin deutsche Schuld ironisch alphabetisiere, das sei schon eine Besonderheit, auf die Namen Bdolf und Cdolf im Buch anspielend. Natürlich sei das Buch eine Liebeserklärung an Berlin. Für Platthaus bietet das Buch »hinreichend emphatische Lektionen des Primats der Kunst.«
Klaus J. Loderer
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