archivierte Ausgabe 2/2012 |
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Berichte aus Ungarn |
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»Ungarn« Ein Kurzkommentar Mit dem 1. Januar hat Ungarn seinen Namen gewechselt. Aus der »Republik Ungarn« wurde »Ungarn, wie die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Verfassung festlegte. Pünktlich wurden an den Grenzen neue Schilder aufgehängt. Die Namensänderung ließ einige Kommentatoren in Deutschland mutmaßen, dass dieser Schritt ein Zeichen für undemokratische Tendenzen der derzeitigen Politik Ungarns sei. Schließlich sage der Artikel A der neuen ungarischen Verfassung nichts über die Staatsform aus. Tatsächlich benennt dieser Artikel eben nur den Staat. Liest man allerdings einen Satz weiter und somit den Artikel B, kann man dort gleich vier Paragraphen finden, die sich zur Staatsform äußern. Und da ist dann eindeutig festgelegt, dass Ungarn ein unabhängiger, demokratischer Rechtsstaat mit der Staatsform Republik sei, in dem die Macht vom Volk ausgehe, diese Macht über seine gewählten Vertreter und im Ausnahmefall auch mittelbar ausübe. Man war doch sehr erstaunt, dass Anfang Januar in der Medienlandschaft eine geradezu hysterische Reaktion auf diese Namensänderung zu finden war. Muss unbedingt jeder Staat seine Staatsform im Namen tragen? Die französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland tun dies. Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen auch ohne einen entsprechenden Hinweis im Namen seit mehr als zweihundert Jahren demokratisches Wesen pflegen zu können. Und die Deutsche Demokratische Republik war unter Einbeziehung gleich zweier hehrer Begriffe, die man im Namen vor sich her trug, kein Hort von Freiheit und Demokratie. Und der Name »Volksrepublik Ungarn« klang auch schöner als das, was sich tatsächlich dahinter verbarg.
kjl
Bundesminister Schäuble in Budapest Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nahm Anfang Dezember im Rahmen einer feierlichen Zeremonie die Ehrendoktorwürde der Budapester Corvinus-Universität für Wirtschaftswissenschaften entgegen. Die Verleihung fand anlässlich der Konferenz »Europe at Crossroads« statt, an der auch der ungarische Wirtschaftsminister György Matolcsy teilnahm. Bei seiner Dankesrede betonte der Minister, dass die aktuelle Krise nicht durch Europa bzw. die europäische Einigung verursacht worden, sondern die Antwort auf und der Versuch der Lösung vorhandener Probleme sei. Die europäische Idee lebe allen Schwierigkeiten zum Trotz weiter. Europa dürfe in einer Welt, die immer schneller zusammenwachse, nicht stehenbleiben. Die europäische Einigung habe auch in der Vergangenheit eine große Kraft bewiesen. In diesem Zusammenhang dankte er Ungarn erneut für dessen Beitrag zur Einheit Europas und zur deutschen Wiedervereinigung. Die gegenwärtige Krise berge die Chance in sich, so Schäuble, der Währungsunion eine gemeinsame Fiskal- und Stabilitätsunion zur Seite zu stellen. Nach seinem Gespräch mit Ministerpräsident Orbán erläuterte der Bundesfinanzminister auf der anschließenden Pressekonferenz, dass man intensiv über die anstehende Tagung des Europäischen Rates gesprochen und er die Position der Bundesregierung erläutert habe. Dabei müsse alles getan werden, damit die 10 Mitgliedsländer, die den Euro noch nicht eingeführt hätten, nicht ausgeschlossen werden. Schäuble betonte auch, dass Ungarn beachtliche Reformen auf den Weg gebracht habe und die Bundesregierung Ungarn dabei im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen werde.
(Deutsche Botschaft Budapest)
Demonstrationen vor Oper Am 2. Januar wurde mit einem Festakt in der Budapester Staatsoper in der Andrássy-Straße das Inkrafttreten der neuen ungarischen Verfassung zum Jahresanfang gefeiert. Daran nahmen neben dem ungarischen Staatspräsidenten Pál Schmitt, Ministerpräsident Viktor Orbán und der Regierung zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens teil. Allerdings wurde die Veranstaltung überschattet von Demonstrationen auf der Andrássy-Straße, bei denen zahlreiche Menschen gegen diese Verfassung demonstrierten. Sie befürchten einen Abbau der Demokratie in Ungarn. Einige Redner machten dies auch daran fest, dass der Begriff »Republik« aus dem offiziellen Staatsnamen gestrichen wurde. Sprechchöre forderten den Rücktritt des Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Die Zeitungen berichteten von 30000 Demonstranten. Zu den Demonstranten gehörte auch der frühere ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcány. Der sozialistische Abgeordnete Tibor Szanyi bezeichnete Ungarn als »dunklen Fleck«. Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie »Genug« und »Orbáns Diktatur« und skandierten »Nieder mit Orbán«.
kjl
Können Ungarn nur in der Opposition zusammenfinden? Péter Zilahy zur Situation in Ungarn Neben all den Katastrophenmeldungen der letzten Wochen versuchte sich Péter Zilahy in einer anderen Deutung der Vorgänge. In der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« vom 8. Januar analysiert er die Situation. Nach dem ungarischen Schriftsteller hat Ungarn seinen Platz in Europa noch nicht gefunden. Geschichte wirke hier oft als Droge. Einer der Gründe sei, dass die Wende von 1989 zu reibungslos verlaufen sein. Andere sozialistische Länder hätten sich deutlich umgekrempelt: »Ungarn mit seinem pseudodemokratischen Gulaschkommunismus schien den Übergang gut hinzukriegen. [...] Es war nicht sofort klar, dass einige der alten Figuren, dank Beziehungen und Kapital, sich als neue Oligarchen etablieren würden und die neuen Figuren aus Machtinteresse sich derselben Methoden bedienen würden wie ihre Vorgänger. [...] Als freie Marktwirtschaft getarnt, florierte das alte System insgeheim mit all seinen kleinen Türchen zum Umgehen der Gesetze [...].« Genau dies versuche Viktor Orbán nun aufzubrechen. »Indem Fidesz versuchte, alles umzukrempeln, wurde den Ungarn klar, was sie wirklich wollten oder entbehrten. Das ganze letzte Jahr hindurch gab es immer mehr Proteste. Die Zivilgesellschaft wird mit jedem Tag stärker, das Land lernt, was praktische Demokratie heißt. Wenn Orbán morgen zurückträte, würde das alles sofort aufhören. Es scheint, als könnten Ungarn nur in der Opposition zusammenfinden und für ein gemeinsames Ziel arbeiten. Orbán spielt also eine wichtige Rolle bei der Transformation der ungarischen Gesellschaft, auch wenn das auf den ersten Blick ganz anders aussieht.« Dies sei früher einfacher gewesen: »In den Achtzigern war alles ganz einfach. Die Zeit stand still, die Regeln waren klar. Meinungsfreiheit war Mangelware, nur wenige konnten reisen, Diktatoren waren richtige Diktatoren, die Geheimpolizei war nicht geheim, wir alle waren unwichtig und oft glücklich. Die Herrschenden, die mit der Besatzungsmacht kollaborierten, waren die Bösewichte, und diejenigen, die mit erhobener Faust demonstrierten (also wir), waren die Guten,« so Péter Zilahy. Er vergisst nicht zu erwähnen, dass zu den Demonstranten von damals auch Viktor Orbán gehört habe.
Sachliche Prüfung oder politisches Spiel? Gergely Pröhle zur Kritik an Ungarn »Wir müssen unterscheiden zwischen sachlicher juristischer Prüfung und politischem Spiel«, betonte der für Europa-Angelegenheiten zuständige stellvertretende Staatssekretär im ungarischen Außenministerium, Gergely Pröhle, der früher Botschafter in Berlin war, in einem Gespräch mit der »Berliner Zeitung«. Pröhle reagierte damit auf die vielfältige Kritik an der ungarischen Regierungspolitik. Man unterscheide in Budapest aber zwischen sachlicher Kritik und politisch motivierten Vorwürfen. Mit letzteren könne man wenig anfangen: »Allgemein formulierte politische Kritik kann keinen positiven Effekt haben.« Nur im Vergleich mit den Regelungen anderer Staaten könne erkennen, ob die ungarischen Gesetze tatsächlich europäische Rechtsgrundsätze verletzen. So sei es auch bei der Kritik an den Regelungen zum ungarischen Verfassungsgericht: »Die Kompetenzen, die dem ungarischen Verfassungsgericht jetzt – übrigens nur vorübergehend – genommen wurden, die hat das deutsche Bundesverfassungsgericht nie gehabt«, machte Pröhle deutlich: »Urteile über den Staatshaushalt lagen auch nie in der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts.« »Ungarn ist ein Rechtsstaat nach europäischen Standards. Freiheit ist uns wichtig«, betonte Pröhle gegenüber der »Berliner Zeitung«.
Mediengesetz Im Dezember erklärte das ungarische Verfassungsgericht einzelne Vorschriften des ungarischen Mediengesetzes für verfassungswidrig. Diese Regelungen sollen ab dem 31. Mai keine Gültigkeit mehr haben. Gegen das Gesetz gab es schon seit mehr als einem Jahr starke Proteste im In- und Ausland. Das Verfassungsgericht beanstandete etwa die behördliche Prüfung von Druckerzeugnissen auf Menschenrechte, Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte. Auch die Regelung über den journalistischen Quellenschutz bei Gerichtsverfahren wurde verworfen. Außerdem wurde die Erhebung von Daten durch die Medienbehörde beanstandet. Die Stelle eines Kommissars für Medien und Nachrichtenübermittlung sieht das Verfassungsgericht für völlig überflüssig an. Die Beanstandungen bezogen sich nur auf Druckmedien, die Bereiche Radio und Fernsehen blieben davon unberührt.
kjl
EU-Verfahren Mit den Antworten der ungarischen Regierung auf insgesamt fünf Briefe von Kommissionspräsident Barroso, Justizkommissarin Reding und Währungskommissar Rehn war man in Brüssel so wenig zufrieden, dass man juristische Schritte einleitete. Am 17. Januar kündigte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Straßburg die Einleitung dreier Verfahren wegen möglicher Verstöße gegen EU-Recht an. Es geht darin um die Unabhängigkeit der ungarischen Nationalbank, der Justiz und der Datenschutzbehörde. »Wir wollen nicht, dass über dem Land weiter der Schatten des Zweifels an Respekt für demokratische Prinzipien und Werte hängt«, so Barroso. Ungarn hat einen Monat Zeit auf die Vorwürfe zu reagieren. Sollte die EU-Kommission mit den Antworten der ungarischen Regierung nicht zufrieden sein, kann sie die Anpassung an EU-Recht fordern. Danach könnte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof folgen. Bei einer kurzen Rede im Europäischen Parlament am 18. Januar betonte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán: »Die Probleme können schnell und einfach korrigiert werden.« Die neuen Gesetze seien auf der Grundlage europäischer Werte entstanden.
kjl
Notenbank Die ungarische Nationalbank (Magyar Nemzeti Bank, MNB) soll mit der staatlichen Finanzaufsicht (PSTAF) zusammengelegt werden. Die bisherigen Präsidenten der Institutionen, András Simon und Károly Szász, sollen zu Vizepräsidenten der neuen Zentralbank werden. Entsprechende Gesetze verabschiedete das ungarische Parlament noch vor dem Jahreswechsel, obwohl bereits Proteste aus dem Ausland laut wurden. Die geplante Reform wurde von der Europäischen Zentralbank scharf kritisiert, da die Unabhängigkeit der Notenbank untergraben werde. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso forderte noch im Dezember die ungarische Regierung auf, den Gesetzesentwurf zurückzuziehen. Man habe inzwischen englische Übersetzungen der Gesetze erhalten und prüfe nun, ob sie mit dem europäischen Recht vereinbar seien. Insbesondere geht es um den Artikel 130 des EU-Vertrags, der vorschreibt, dass die nationalen Notenbanken keinen Weisungen staatlicher Institutionen unterliegen dürfen. Genau das scheint man aber in Brüssel zu befürchten. So soll der Finanzminister an den Sitzungen des geldpolitischen Rats teilnehmen. Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn kündigte dann Mitte Januar an, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten. MNB-Präsident András Simon gilt als Widersacher des ungarischen Ministerpräsidenten. Mehrfach kritisierte die Orbán-Regierung seine Zinspolitik. Simon wurde 2007 von der sozialistischen Regierung Ferenc Gyurcsány eingesetzt und hat eine reguläre Amtszeit bis 2013.
kjl
Schuldenregeln Symposium an der Andrássy-Universität Am 8. Dezember fand im Rahmen der Vortragsreihe »Die Praxis der europäischen und nationalen Finanzpolitik« das Symposium »Schuldenregeln als goldener Weg zur Haushaltskonsolidierung in der EU?« an der Andrássy-Universität in Budapest statt. Die Teilnehmer des Symposiums waren die stellvertretende Staatssekretärin für Entwicklung im Ministerium für nationale Entwicklung Budapest, Dr. Nyikos, der stellvertretende Leiter der zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister, Dr. Brunton, der für das Bundesministerium der Finanzen tätige Dr. Ebert, sowie Dr. Pállinger, Dr. Wenger und Prof. Dr. Eckardt von der Andrássy-Universität. Die Referenten stellten die Schuldenbremsen in Ungarn, Deutschland und der Schweiz dar. In Ungarn und Deutschland wurden angesichts der europäischen Schuldenkrise erst kürzlich neue Schuldenregeln erlassen. In der Schweiz gibt es Schuldenbremsen auf kantonaler und Bundesebene schon seit längerer Zeit. Sie dienten als Vorbild für die Implementierung der deutschen Schuldenbremse. Die Vortragenden diskutierten außerdem, welche Möglichkeiten es gibt, die Mitgliedsstaaten der Eurozone zu einer solideren Haushaltspolitik zu bewegen. Dabei wurden Maßnahmen wie die Einführung von nationalen Schuldenbremsen in jedem Mitgliedsstaat sowie die Gründung eines europäischen Fiskalrats diskutiert.
Janina Apostolou
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